Montag, 2. August 2004


Als ich mich heute morgen zur Piste hochkämpfe, herrscht dort Windstille und es ist so warm, daß ich mich der vorsorglich angezogenen Regenkombi nach zwei Kilometern wieder entledige und sie auf den Rucksack schnalle. Aufbruch war zwischen 8 und 9 bei grauer, tiefhängender Wolkendecke. Ich male mir jetzt schon aus, wie ich heute das Café von Versalir erreiche, mitten im Nirgendwo, an der Stelle, wo die westliche und die östliche Piste zusammentreffen. Ich werde die Schuhe im Flur gegen dicke Socken tauschen, Kaffee trinken, Kuchen essen, vielleicht sogar Postkarten und Marken kaufen, sie schreiben, abschicken...

Seen zu beiden Seiten der Piste

Ein leichter Wind und zeitweiliger Niesel vertreibt den Mückenschwarm, der über mir schwebt. Ich ziehe die Regenjacke wieder an. Am Dratthalavatn kommt mir der erste Wagen des Tages (es ist schon nach 13 Uhr) entgegen. Der Fahrer des Kleinwagens fragt mich, ob die Straße irgendwo noch näher an den See herangeht. Ich anworte ihm, der See wäre hier zuende - das wüßte er, sagt er... Daß die Piste geradeaus weiterführt, müßte er sehen, denke ich. Grußlos steigt er wieder in seinen Wagen und ich frage mich, ob ich schon zu lange mit keinem Menschen mehr gesprochen habe. Aber ich bin erst seit drei Tagen in der Wüste, und vor drei Tagen waren die noch nicht so, die Menschen.

Es folgen zwei Geländewagen, die vorsichtig an mir vorbeigelenkt werden, in der Ferne sehe ich schon weitere bei Versalir nach Osten abbiegen, auf die Hauptpiste nach Nýidalur. Beim nächsten Wagen steigt ein Mann aus und fragt mich, wohin die Piste, auf der wir uns befinden, führt. Nach Nýidalur? Aber das ist doch nicht die normale Strecke? Nein. Ob ich ihm das auf der Karte zeigen könnte? Ich zeige es ihm, und er fährt auf dieser Strecke weiter. Ob er den Abzweig nach Nýidalur von der alten Sprengisandurpiste erkennt? Dort steckt nur ein 25 cm hohes rotes Fähnchen im Sand. Trotzdem gehe ich etwas beruhigter weiter, weil das etwas merkwürdig verlaufene Gespräch mit dem Kleinwagenfahrer von vorhin wohl doch kein Anzeichen für erste ernsthafte Folgen zu langen Alleinseins war.

An der nächsten Kurve holt die Piste zu einem großen Bogen nach Westen aus. Ich sehe die roten Dächer von Versalir und gehe durch die Schotterwüste direkt darauf zu. Spare so gut 2/3 der Strecke. Auf dem Hügelkamm nähert sich ein weißer Geländewagen den Häusern, hält kurz davor an und entfernt sich wieder. Meine Beine machen mir heute keine Sorgen. Dafür schmerzt die linke Fußsohle und am linken Hüftkamm scheuert eine Stelle unterm Gurt. Ich prökele am Hosenbund herum, verlagere den Rucksack... erfolglos. Beschließe, das Problem in Versalir zu beheben. Der weiße Geländewagen nähert sich wieder und dreht erneut ab. Kurz vor den Gebäuden geht es nochmal bergab, dann folgt ein steiler Anstieg. In der Senke liegt ein Teich, den ich auf der Karte gesehen, aber vergessen hatte. Ich umrunde ihn und ersteige den Hang. Schon fast an den Hütten fährt hinter mir der weiße Geländewagen vorbei, dreht und prescht wieder davon. Ist das ein Fahrschüler? Steht heute Wüstenfahren auf dem Stundenplan?

An den Gebäuden sind alle Fenster braun verplankt, die Hinweisschilder entfernt. Auf einem Anhänger tuckert ein Generator, nur ein Geländewagen steht hier. Das ist die Enttäuschung des Tages. Ich setze mich auf einen Stein und nehme die Koordinaten... eher aus Verzweiflung, um überhaupt irgendetwas zu tun. Die Koordinaten stimmen; die Stelle stimmt. Natürlich bin ich am richtigen Ort.

Nach einer Weile und einem Stück Schokolade wuchte ich den Rucksack wieder in die Höhe, prökele am Hosenbund und folge dann ein Stück der Piste, gehe aber dort, wo sie nach Westen abknickt, geradeaus weiter. Die Piste macht einen großen Bogen um ein Sumpfgebiet, den ich abkürzen will. Laut Karte müßte dort Wasser zu finden sein, das ich überqueren muß. Vielleicht ein geeigneter Platz für ein Nachtlager. Das Tagespensum von 20 km wäre, wenn ich dort bin, erfüllt. Sollte der Bach zu tief sein, furte ich eben morgen.

Das Sumpfgebiet der Karte erweist sich als grün, aber relativ trocken. Ich fürchte schon, kein Wasser zu finden, doch in der hintersten Ecke fließt der Bach heraus und ist problemlos zu überqueren. Dicke Moospolster sind wider Erwarten trocken und bilden einen hervorragenden Untergrund. Hier bleibe ich.

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