Dienstag, 29. Juli 2003


Um sieben hielt es mich nicht mehr im Bett. Die Sonne schien schon seit Stunden durch die Vorhänge. Nach dem Frühstück Abschied von Daniel, der auf Glück beim Trampen hofft und so schnell wie möglich auf die Piste will (wie ich später sehen werde, hat er gute Chancen, mitgenommen zu werden). Beim Eintrag ins Gästebuch sehe ich, daß der Reiter mit den drei Pferden am 23. da war und von Vopnarfjöršur an der Nordostküste aufgebrochen ist. Auch den Eintrag von Dieter Graser aus dem Jahr 1996 finde ich. Eine Aufschrift an der Kammertür besagt übrigens, daß man nur im Notfall, und dann lediglich im "bloody foreroom", wie ihn jemand im Gästebuch bezeichnet, übernachten darf. Aber da inzwischen 1.000,- Kr. in eine extra zu diesem Zweck fest mit der Wand verschraubten Box zu entlöhnen sind, gilt das wohl nicht mehr. Bevor ich gegen neun aufbreche, sorge ich dafür, daß alle Türen und Fenster wieder fest verplankt sind. Ich habe mächtigen Wind von vorn oder vom Gletscher.

Zwei Geländewagen kommen mir entgegen, beide Fahrer winken, der erste grüßt sogar mit "Gošan Dagin - Bon voyage" und erhält vom mir ein "Thanks!" zurück. Später stoße ich auf zwei Satelitenspiegelpunkte. Nicht, daß ich auch nur die leiseste Ahnung hätte, was das ist - aber es steht dran. Auf Deutsch. Große Gebilde aus Blech, mit Metallfüßen in der Wüste wurzelnd, entfernt an die tetraeder-förmigen Kakao-Tüten erinnernd, die früher in Schulen an die Kinde verteilt wurden.

Nach einigen weiteren Kilometern, auf einer Höhe von 1083 m, gibt es endlich wieder fließendes Wasser, das ich trocken überquere. Nach der letzten Rast hatte ich gegen den Sturm und den Regen die Kapuze über die Kappe gezogen. Der Schirm schützt so zwar das Gesicht, aber ich sehe nur die zwei Meter vor meinen Füßen, wenn ich den Kopf nicht extrem verrenke. Darum nehme ich auch erst sehr spät wahr, daß mir ein Bus entgegenkommt, die kleine Ausführung zwar, aber ein Reisebus mit der Aufschrift Vesturleiš.

Vor einer Steigung zerfasert sich die Piste, Pflöcke sind nicht mehr zu sehen. Ich wähle eine vage Spur, die nahe an den Gletscher heranführt. Von oben (1137 m) sind einige hundert Meter weiter nördlich wieder Pflöcke zu sehen. Auf dem Weg dorthin quere ich mehrere Äste eines Schmelzwasserbachs (Hüpffurten).

Der Gletscherfluß, der dann folgt, ist allerdings nicht mehr zu überspringen. Ich probiere etwas Neues und lasse die Socken in den Plastiktüten an. Sie bleiben trocken, die Füße werden nicht so kalt und es ist wesentlich einfacher, die Tüten später wieder auszuziehen. Der Wind steigert sich zum Sturm. Im Windschatten ziehe ich die Schuhe wieder an und esse einen Riegel Schokolade. Danach gesellt sich zu dem Sturm auch noch Nieselregen. Doch ich stürme ebenfalls gewaltig los, alle paar Meter den Kappenschirm anhebend, um Pflöcke und Richtung anzupeilen.

Ich halte das mich selbst erstaunende Tempo bei bis zum "Paß" der Steinmännchen, die Stelle des Dyngjuháls, von der an es wieder abwärts geht. Es hat etwas mystisches, fehlen nur noch ein paar ausgefranste, flatternde Gebetsfahnen. Hunderte von Steinmännchen wurden hier errichtet. Ich würde gern ein Foto mit mir stellen, aber der Regen hält mich davon ab. Ich begnüge mich mit einigen Schnappschüssen, immer den Rucksack gegen den Wind gedreht. Wie ich wieder Zuhause feststellen muß, sind alle Filme dieses Sommers unterbelichtet, aber auf den hier entstandenen Bildern ist am wenigsten zu erkennen. Gleich danach öffnet sich der Blick ins 200m tiefer liegende Land vor mir. Der Regen scheint heftiger zu werden und ich beschließe, im Windschatten einer bizarren Lavaformation mir die Regenhose und dem Rucksack seinen Regenüberzug anzuziehen. Als ich damit fertig bin, ist es mit dem Regen natürlich auch vorbei. Der Track geht durch eine Engstelle und gleich danach sehe ich weiter unten eine ganze Fahrzeugkarawane. Was ist denn heute los? Noch ein Bus, nur niedriger als der andere, wie's scheint, und vier Allradler, einer mit Kanu auf dem Dach. Der Bus setzt sich in Bewegung, die Wagen folgen, doch nur 50m weiter bleibt wieder Alles stehen.

Der Track macht einen Bogen nach links, geht weiter hinab, doch von den Gęsavötn ist noch immer nichts zu sehen. Bald kommt mir abermals ein Fahrzeugkonvoy entgegen: sechs Allradfahrzeuge. Der Fahrer des ersten fragt auf Englisch, ob alles o.k. ist, nehme ich zumindest an, denn seine Formulierung ist mir nich geläufig. Er verweist mich mit meiner Frage, wie weit es zu den Gęsavötn ist, an den Fahrer des roten Wagens, denn der sei Isländer. Wissen diese Leute nichtmal, wo sie sich befinden? Aber mir Hilfe anbieten. Ich schalte nicht schnell genug, sondern erkenne erst an den folgenden Wagen, alle Fahrer grüßen freundlich, daß sie deutsche Nummernschilder haben. Also hätten wir uns die Sprachakrobatik auch schenken können.

Erst nach den letzten Hügeln sind die Gęsavötn und die weiße Hütte am oberen See zu sehen. Kurz vorher noch ein Bach, den ich überspringen kann. Ein Landrover überholt mich in weitem Bogen. Er hält am oberen See. Als ich am unteren nach einer windgeschützten Stelle suche, es stürmt noch immer ziemlich, kommt der Wagen angbebrummt und man sieht mir, gemütlich in den Sitzen zurückgelehnt, beim Zeltaufbau zu.

Als ich fertig bin und ins Zelt verschwinde, es bei mir also nichts mehr zu sehen gibt, fährt mein Publikum zum Haus und sieht sich da um. Kurz darauf erscheint aus Richtung Nżidalur ein alter, hochrädriger Bus, durchquert den Bach zwischen den Seen und stellt sich am oberen auf. Gestalten in bunter Regenleidung springen heraus, klettern sogar aufs Dach und bauen eines dieser vertrauten Henne-Kücken-Zeltdörfer auf - eine Handvoll Kuppelzelte schart sich um ein Küchenzelt. Der Landrover kommt wieder zu mir herübergebrummt und bleibt stehen. Später hat sich ein zweiter Wagen mit einem Wohnaufsatz dazugesellt.

Ich koche, lese, friere, decke mich mit dem Schlafsack zu, schlafe aber nicht ein und gehe nach einer Stunde nochmals los, um am Bach, den ich auf dem Herweg überqueren mußte, die Wasserflasche zu füllen und Zähne zu putzen. Der Sturm hat nachgelassen und de Himmel bleibt bewölkt zurück.

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