Montag, 28. Juli 2003


Bevor ich mich an den Anstieg zum Uršarháls machen kann, muß die Schwemmsandfläche eines Gletscherflusses überquert werden. Das geht am besten am Morgen, denn mit den steigenden Temperaturen verwandelt sich der Sand in eine riesige Wasserfläche. Als mich aber um sechs der Wecker an meine Absicht, früh aufzubrechen erinnert, fällt noch immer leichter Regen. Ich schlafe noch eine Stunde, bin erst gegen neun mit Frühstücken und Packen fertig, erreiche dann aber doch relativ schnell den Gletscher.

Vor der Sandfläche steht das übliche Schild, das im Hochland vor der Durchquerung einer gefährlichen Furt warnt. Es zeigt ein Allradfahrzeug, daran zu erkennen, daß "4x4" daneben steht, an einer Böschung, die direkt in die drohenden Wogen eines Flusses führt. Jedenfalls hat es dieses Bild wohl mal gezeigt. Jetzt ist nur noch der Geländewagen zu erahnen. Das Gegenstück auf anderer Seite des Sandes ist vom Wetter völlig weiß gebleicht und lädt zum Selberausmalen ein. Die Reihe gelber Markierungen führt über das noch völlig trockene Gletscherflußgeästel. Sie läuft geradewegs auf die schwarze Gletscherkante zu und teilt sich dort an einem Wegweiser, um dann in beiden Richtungen am Gletscher entlangzuführen. Ich kürze ab und halte geradewegs auf das Warnschild am anderen Ufer, am Beginn des Anstiegs zum Uršarháls zu, wo schwach die Piste zu erkennen ist. Der Weg ist kürzer und das Wasser kommt hier später. Wanderer können aber auch am Ufersaum entlanggehen, was für Fahrzeuge wahrscheinlich nicht möglich ist. Etwa von 10-11 Uhr bin ich auf dem Sand. Vom Gletscher her ist schon Rauschen zu hören und an mehreren Stellen das Glitzern zu erkennen, das vom hervorquellenden Schmelzwasser herrührt. Irgendwann glaube ich, vor dem Warnschild, auf das ich zuhalte, einen weißen Schimmer wahrzunehmen. Sollte das schon das steigende Wasser sein? Doch dann entdecke ich, daß die Sonne durchbricht und Nebelfetzen aufsteigen läßt, die quer zum Weg treiben.

Der Anstieg ist nicht so steil, wie ich nach Dieters Beschreibung vermutet habe. Gegen 12 ist von oben zu erkennen, daß sich das Wasser schon quer über die Fläche ausgebreitet hat. Als ich am Krater Uršarháls gerade den Rucksack abgestelle, treffen zwei allradgetriebene Fahrzeuge aus Richtung Gęsavötn ein. Der zweite Fahrer hebt wenigstens grüßend die Hand. Gut, für sie ist es nur ein Tagesausflug, ein Stop auf dem Weg zur Askja. Vielleicht sind sie ja auch ganz stolz auf ihr fahrtechnisches Können... und dann kommt ein Fußgänger daher. Nach zwei Minuten sind sie wieder weg. Um in den Krater zu sehen, brauchten sie nicht mal auszusteigen. Ich Koche wieder Tee und belohne mich mit einer halben Tafel Schokolade für die Etappe hierher. Nach dem Aufbruch sehe ich Pferdespuren. Schon gestern hatt ich sie an einigen Stellen neben der Piste entdeckt.

Bald ist in der Ferne am Hang des Kistufell schon die Hütte zu sehen. Als ich mich auf dem Weg dorthin gerade einen letzten Hügel hinaufkämpfe, zucke ich beim Blick nach oben - noch 20 Schritte, noch 18 - zuerst zusammen. Kommt über die Kuppe doch ein Wanderer! Aus den neuen Bundesländern, wie's klingt, als wir uns nach einem kurzen Wortwechsel auf Deutsch als Kommunikationsplattform geeinigt haben. Wir setzen uns in den sandigen Hang und zeigen auf den Landkarten herum. Er hatte auch überlegt, "meinen Weg" durch die Askja zu gehen. Ich kann ihn vor dem Lavafeld warnen und von meinen kleinen Entdeckungen erzählen. Er berichtet, daß es an der Hütte mit Wasser schlecht aussieht. Ihm ist übrigens der Reiter mit den drei Pferden begegnet, eines zum Wechseln und ein Packpferd. Allerdings geraten ihm auch schon die Tage durcheinander. Er ist sich nicht ganz sicher, ob es gestern oder vorgestern war.

An der Hütte stelle ich mein Gepäck an Tisch und Bank in der Sonne ab und mache mich dann auf die Wassersuche. Als ich zurückkomme, trifft gerade ein weiterer Wanderer aus der Gegenrichtung ein (was für ein Betrieb!). Daniel Martin aus Frankreich. Wir öffnen die Hütte und finden nach einger kurzen Besichtigung beide, daß 1000,- Kronen für die Übernachtung o.k. sind. Den Ofen bringen wir nicht zum Brennen, dafür finde ich aber noch eine große Primus-Kartusche, die wir stattdessen zum Kochen verwenden. Wir holen mit Töpfen und meinem Wassersack Wasser von einem Schneefeld, daß ich vorhin bei meinem ersten Spaziergang durch die Umgebung entdeckt habe, lassen den schwarzen Sand darin sich absetzen und filtern es schließlich noch durch einen Kaffeefilter (was aber gar nicht mehr nötig gewesen wäre). Danach wird viel gekocht. Daniel fördert aus den Tiefen seine Rucksacks eine ganze Kollektion von Plastiktüten mit mumifiziertem Gemüse zutage und wirft es händeweise in einen Topf mit Brühe. Zuhause, erzählt er stolz, habe er sich eine Trockenanlage gebaut. Alles, was er an "de legume" mit sich führt, habe er selbst getrocknet. "Very cheap", meint er. Und für den Fall, daß ich nicht verstanden habe: "billisch?" "Yes", nicke ich.

Er hat kurzentschlossen einen günstigen Flug nach Island genommen und will die Insel jetzt in 16 Tagen zu Fuß von Süden nach Norden durchqueren. Die ganze Insel. Folgerichtig hat er auch eine Karte der ganzen Insel dabei, auf der auch einige Orte markiert sind, die er sich außerdem nach ansehen will. Seine komplette Ausrüstung für die 16 Tage, alle Lebensmittel inclusive, hat er bei sich. Allerdings fürchtet er langsam, die ganze Strecke doch nicht in der geplanten Zeit aus eigener Kraft zurücklegen zu können und hofft auf eine Gelegenheit, zur Askja und von dort zum Mżvatn zu trampen. Auch wenn er den Weg von Žórsmörk im Süden bis Landmannlaugar (ca. 50 km) an einem Tag bewältigt hat - es hatte nur geregnet, seine Regenkleidung war unbrauchbar, um seine warme Kleidung trocken zu halten hatte er sie im Rucksack verstaut und war er in T-Shirt und kurzer Hose gelaufen, was natürlich dazu führte, daß ihm kalt wurde, wenn er nicht ununterbrochen lief, bis zu dem heißen Badesee in Landmannalaugar. Aber jetzt sieht er trotzdem bedenklich die Tage schwinden.

Später trifft noch ein Wagen mit einer isländischen Familie ein. Die Familie sieht sich kurz in der Hütte um. Man vergewissert sich, daß wir die Absicht haben zu bleiben, und fährt dann weiter. "Wir sollen besser nicht hier gegangen, denkst Du?", grinst Daniel, als der Wagen wieder davonbrummt. "Sie möchten lieber sein ohne uns." Ich grinse zurück, "Oui, und das sind sie jetzt ja auch".

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