Am Morgen ist es noch immer bedeckt. Ich wanderte zuerst an der Lavakante entlang, um nicht jede kleine Biegung des Baches ablaufen zu müssen, bis schließlich ein deutlicher Schlenker der Kráká nach NW erfolgt und ich mich mehr an ihr orientiere. In der Nähe dieser Stelle habe ich vermutlich auch 2001 auf dem Weg von der Askja zum Mývatn den Fluß durchquert.
Nach einiger Zeit furtet eine Piste die Kráká und ich folge ihr, zuerst genau auf die Wellblechhütte am Sellandafjall zu. Das Gehen wird deutlich leichter. Später schwenkt die Piste nach links und verläuft im Westen des Sellandafjall parallel zum Berg. Erstes Wasser finde ich dann wieder in einem Teich in der Nähe der Piste.
Die Überquerung des Hagalækur (hier führt er dann Wasser) ist sogar gebrückt, d.h. der Bach wurde durch ein Rohr geleitet. Danach hat sich das Wasser tief in den weichen Boden eingegraben (Beginn Sellandagrof). Da ich auf der Piste so gut vorankomme, beschließe ich, bis Skútustaðir durchzulaufen. Inzwischen scheint die Sonne, ein blauer Himmel mit vereinzelten Wolken dehnt sich über mir.
Die Schotter-Kies-Wüste im Norden des Sellandafjall scheint sich ewig hinzuziehen. Endlich kommt die Lava vor Grænavatn in Sicht. Ich bin schon lange auf der Höhe meines üblichen Zeltplatzes am Fluss, kann mich aber nicht erinnern, daß der Weg von dort noch so weit war. Leichter Nieselregen setzt ein. Als die Piste auf die Lava trifft, mache ich es mir in einer hübsch bewachsenen Spalte bequem und bereite den mir selbst versprochenen Tee. Niesel hin oder her. Nach dem Aufbruch setzt plötzlich heftiger Regen ein, der sich schnell zu einem Wolkenbruch entwickelt. Ich drehe dem Regen den Rücken zu und versuche, eine Lösung für meine Fototasche zu finden, die sich gestern als nicht wasserdicht erwiesen hat. Aber was? In fieberhafter Eile taste ich meine Taschen ab und erstelle gleichzeitig eine mentale Inventarliste meines Rucksacks. Schließlich finde die ich Tüte in der Jackentasche, in der ich den auf der Tour anfallenden Müll (Verpackung von Müsliriegeln, Schokoladenpapier, alte Pflaster etc.) sammle. Der Müll wandert lose in die Tasche und ich knote die aufgerissene Tüte notdürftig über die Fototasche. In der Zwischenzeit ist meine Hose durchnäßt, weil ich keine Gelegenheit hatte, die Regenhose überzuziehen. In den Schuhen beginnt das Wasser zu gurgeln (die Füße sind hinterher richtig schön sauber). Ich gehe weiter, voller Energie, singe alle Regenlieder, die mir einfallen (Singin' in the rain - Regen, Regen drus' - Raindrops keep fallin' on my head - Ich bin Trief der Regen, von Haus aus sehr verlegen...) und überlege, was schlimmer ist, diese Fliegen, die sich in Ohren und Nasenlöchern zu suizidieren versuchen, oder der Regen. Nicht, daß ich wirklich eine Wahl hätte, aber die Fliegen sind im Moment verschwunden.
Kurz vor Grænavatn komme ich an die Wiese mit den Pferden. Als ich sie gerade begrüßen will, wir kennen uns von den Vorjahren, rollt ein Donner heran und sie stieben davon, einige sogar ein Stück weit in den See, der die Wiese am anderen Ende begrenzt. Das Gewitter hält an, bis ich die Hauptstraße erreiche. Die Annahme ist also widerlegt - Gewitter gibt's hier doch, und mir ist gar nicht wohl auf dem langen exponierten Abschnitt zur Hauptstraße. Bisher hatte ich angenommen, in Island würde es keine Gewitter geben, weil ich in all den Jahren, zusammengenommen vielleicht sieben Monate, nie eins erlebt habe. Aber in Bremen kommen Gewitter auch relativ selten im Jahr vor. Wahrscheinlich auch nicht häufiger als eines in sieben Monaten.
Inzwischen hat auch die Regenjacke aufgegeben. Sweat- und T-Shirt sind naß. Wenn ich die Arme senke, läuft das Wasser aus den Ärmeln. Teilweise hält sie also doch noch dicht - sie gibt das einmal eingedrungene Wasser nicht mehr frei. Wahrscheinlich hat der Wolkenbruch das atmungsaktive Gewebe nur just in dem Moment erwischt, als es gerade mit Einatmen beschäftigt war. Ganz anders dagegen die Schuhe: Zwischen den Verschnürungen schäumt das Wasser mittlerweile bei jedem Schritt heraus. Daß es irgendwo wieder ins Freie muß, nachdem es mir die Beine hinabgelaufen ist, ist klar, aber woher kommt der Schaum? Vielleicht sind das die Pflaster, die sich jetzt völlig aufgelöst haben?
An der Brücke über den Fluß, der den Grænavatn mit dem Mývatn verbindet, beobachte ich eine Familie Bläßhühner (alleinerziehende Mutter mit vier Kücken). Die Einschläge der prasselnden Regentropfen erzeugen auf der Wasseroberfläche Miniaturfontänen, die es wie einen brodelnden Stoppelacker aussehen lassen. Ein Kücken versucht, der Wucht des Regens durch Tauchen zu entgehen, merkt aber, daß es unter Wasser langsamer vorankommt und eilt seiner Familie strampelnd hinterher.
Am Zeltplatz von Skútustaðir stelle ich den Rucksack unter das hintere Vordach der Hütte. Unter dem vorderen müht sich ein kurzes Begrüßungslächeln unter einer Kapuze hervor, die sich gleich darauf wieder über einen dampfenden Kessel beugt. Aber ich muß erstmal erledigen, was ich mir seit Beginn des Regens versprochen und ausgemalt habe, suche halbwegs trockene Wäsche heraus und gehe unter die Dusche. Danach hört der Regen auf und ich bin fähig zur Konversation mit den beiden Deutschen unter dem vorderen Vordach. Sie sind mit dem Auto da. Ihr Zelt steht inmitten einer ansehnlichen Pfütze - sie versichern mir aber, es dort nicht aufgestellt zu haben. Meine nasse Kleidung dampft derweil über der Heizung im Waschraum. Kaffe und Pommes im Café-Restaurant an der Straße oberhalb des Zeltplatzes runden den Tag ab.
Es gibt im Rucksack kaum etwas, das nicht naß ist. Sogar der Innenschlafsack. Trotz der Regenhülle des Rucksacks, seiner inneren Gummierung, des wasserdichten Packsacks. Die Kleidung zum Wechseln unten im Rucksack ist ebenfalls naß, auch die Papiere im Deckelfach... Nur der Daunenschlafsack und die Unterwäsche sind halbwegs trocken geblieben. Aber einen Vorteil hat das Wetter: Meine Füße sind sauber, pflasterlos und ohne unerklärliche Schwellungen.