Jetzt verwachsen die alten Saumpfade in der Heide,
sie werden von Erde erfüllt, vom Sandflug verschüttet.
Von manchen weiß kein Mensch mehr,
wie sie einst führten.
Die Wanderung beginnt, wo die Piste zur Askja endet, am Parkplatz der Hochlandbusse. Der Busfahrer hatte mich leicht entgeistert angesehen, als ich ihn nach dem Weg zum Jónsskarð fragte, und mich dann an die Warden von der Dreki-Hütte verwiesen, die auf der anderen Seite des Busses gerade ihre Langlaufski anlegte. Sie hatte auf Deutsch, mit sehr charmanter österreichischer Färbung, den Weg erklärt: "Dort kannst Du es ßehen, das ist Jónsskarð... oder..." Das letzte Wort hing etwas verloren in der Luft und wir beugten uns nochmal über meine Karte.
Die Toilettenhütte neben dem Parkplatz ist wetterbedingt außer Betrieb und läßt ahnen, wie hoch der Schnee noch liegt: von ihr ist nur das Entlüftungsrohr und die obere Spitze des Daches zu sehen. Ein Wegweiser gibt die Richtung zum Dyngjufell an. Der Weg führt durch die Scharte Jónsskarð in ihrem nördlichen Rand aus der Caldera heraus. Bis dorthin sind es vier Kilometer über ein Lavafeld, das sich aber relativ gut überqueren läßt, weil in diesem Jahr noch viel Schnee liegt, der die scharfkantigen Brocken überdeckt. Nur darf man den an vielen Stellen aus dem Schnee ragenden Lavainseln nicht zu nahe kommen. Das schwarze Gestein erwärmt sich bei Sonne schneller als Schnee. Es taut den Schnee tückisch von unten weg, während die Oberfläche unversehrt bleibt. Zweimal breche ich mit einem Bein bis zur Mitte des Oberschenkels ein. Sich dabei auf dem scharfen Felsen abzustützen, ist auch nicht empfehlenswert.
Am Anstieg zum Jónsskarð erwartet mich ein weiterer Wegweiser und an einigen Stellen ragen gelbe Markierungspflöcke aus dem Schnee. Von oben habe ich gute Sicht auf die Askja-Caldera und im Südwesten auf den Vatnajökull. Der Abstieg erstreckt sich, immer den Markierungen folgend, über 7 km, teilweise bei Regen und Hagel. Gleich zu Beginn wartet ein stark angetautes, tiefes Schneefeld, in das ich bei jedem Schritt bis zu den Knien einbreche. Neben den Pfosten erleichtern mir zwei Spuren die Orientierung, die anscheinend von der anderen Seite heraufführen. Die Fußabdrücke überragen die weiße Fläche um einige Centimeter. Offenbar sind sie langsamer abgeschmolzen als der sie umgebende Schnee, doch auf jeden Fall sind sie schon etwas älter. Da die Warden mir versichert hat, ich wäre heuer - alßo in diesem Jahr der Erste auf dem Paß, müssen es wohl Trolle gewesen sein.
Teilweise ergeben sich grandiose Ausblicke ins Tal, auf entfernte Berge und Gletscher. Kein Anzeichen von Zivilisation ist zu sehen, kein Geräusch außer den Regentropfen und dem Wind zu hören. Wahrscheinlich ist in weitem Umkreis kein anderer Mensch. Ich bin allein!
Genau wie das Bachbett, an dem sie steht, ist auch die Hütte im Dyngjufjalladalur leer. Die Fensterläden sind geschlossen und die Tür verriegelt. Ich entferne die Verschlüsse von den Türflügeln und sehe mich drinnen um, entscheide mich dann aber doch für das Zelt. Im Windschatten eines riesigen Felsbrockens baue ich es auf. Trinkwasser finde ich in den Mulden einiger größerer Steinbrocken.