Montag, 14. Juli 2003


Der Wecker piepst um 6 Uhr, doch in Anbetracht des Geräusches von Regen auf dem Zelt drehe ich mich gleich wieder um und schlafe weiter. Anderthalb Stunden später lichten sich die Wolken etwas und ich mache nach dem Frühstück noch Fotos von zwei Wasserfällen direkt unterhalb des Zeltplatzes.

Nach etwa einem Kilometer treffe ich wieder auf eine Piste, die zu einigen kleinen Seen zwischen den Hügeln führt. Auf der glatten Fläche des ersten See schwimmt ein einzelner Taucher und stößt von Zeit zu Zeit langgezogene, klagende Rufe aus, wie eine Mischung aus rolliger Katze und weinendem Kind. Dazu im Hintergrund aus verschiedenen Richtungen das fortgesetzte Fiepen der Regenpfeifer. Sonst herrscht Stille. Ich sitze unter tiefhängenden Wolken auf einem Stein inmitten dieser Handvoll Töne und fühle mich ruhig. Die gestrige Aufregung, die Anspannung des ersten Tages unterwegs ist verschwunden. Um mich herum ist genug Raum, nur dürftig genutztes Land. Die Stimmung... schwebt. Hier existiert kein Anlaß für emotionale Extreme.

Ein Schwanenpaar zieht trompetend und flügelrauschend im Tal vorbei. Ihre Köpfe bleiben auf einer Höhe, während die Körper mit jedem Schwingenschlag gehoben werden und wieder zurücksinken. Es ist ein ungewöhnlicher Anblick: fliegende Vögel von oben. Es wird ein Wiedersehen geben am Ende des Hügels auf einem weiteren See. Auch später fliegen sie noch öfter vorbei. Die Piste verschwindet und es geht weiter durch Sumpfwiesen und über Bulten. Irgendwann habe ich die Schnauze voll und halte nach rechts auf einen Hügel zu. Von oben eröffnet sich die Sicht zurück bis Þórshöfn. Die Furt des Hvappslækur - ein flacher, schmaler Bach, muß als Rechtfertigung für eine Teepause auf relativ trockener Wiese am gegenüberliegenden Ufer herhalten. Bald darauf ist das Zusammentreffen von Hávarðsdalsá und Hafsalónsá sichtbar. Letztere bricht hier durch eine beeindruckende Schlucht aus der Flanke des Hávarðsdalsfjall hervor. Einen namenlosen Wasserfall gibts gratis dazu.

Die Hávarðsdalsá ist schon von anderem Kaliber als der Happslækur. Darum verzichte ich vorerst darauf, ihn zu überqueren, zumal die Ufer hier zu hoch und steil sind. Hinter dem nächsten Hügel wird das Ufer flacher und ich sehe in einer Biegung des Flusses die Reste einer Torfhütte, wie sie im Herbst beim Schafabtrieb benutzt wurden, auf meiner alten Karte noch als "Kofi" bezeichnet. Gleich dahinter durchquere ich die Hávardsdalsá und versuche über den Hávarðsdalsfjall, trotz zahlreicher Bulten und Sumpfwiesen, in gerader Linie auf die Schlucht Dimmugljúfur zuzuhalten und bin somit wieder an der Hafsalónsá. Da der dichter werdende Nebel die Orientierung in den Bergen unmöglich macht, folge ich dem Rand der Dimmugljúfur. Der Fluß rauscht immer tiefer unter mir und ist bald nur noch zu erahnen. Und schließlich höre ich ihn, bevor ich ihn sehe: den Storifoss - den "Großen Wassefall". Als Quelle des Lärms ist nur ein riesiges weißes Halboval am Ende des Flusses auszumachen, sehr gleichmäßig gefächert, mit zwei Stufen. Leider ist es zu nebelig zum Fotografieren. Darum beschließe, noch bis 18 Uhr am Fluß entlangszulaufen und bei guter Sicht morgen früh ohne Gepäck zurückzukehren. Tatsächlich finde ich dann auch eine relativ ebene, trockene Wiese. Heute habe ich nur 15 km zurückgelegt. Wenn ich es morgen nicht bis zum Haugsvatn schaffe, der eigentlich die Mitte meiner geplanten Tour darstellt, muß ich von dort entlang der Telefonleitung nach Grimstaðir abkürzen, um meinen Zeitplan noch einhalten zu können.

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